Der 18-jährige Ariad und der 19-jährige Chatiem wurden zu „nur“ 10 statt 300 Jahren verurteilt

So sieht ein rechtlicher „Erfolg“ in einem zutiefst ungerechten System aus.

Chania, Griechenland – Am 30. April 2025 fanden die Prozess gegen den 18-jährigen Ariad und den 19-jährigen Chatiem statt. Beiden waren der „Schleusung“ angeklagt – konkret der Beihilfe zur unerlaubten Einreise von 70 bzw. 17 Personen. Ihnen drohten 355 bzw. 90 Jahre Haft – Strafen, zu denen anderen sudanesische Jugendlichen bereits im März in schnellen Verfahren mit Pflichtverteidiger*innen und praktisch ohne öffentliche Aufmerksamkeit verurteilt wurden.

Für die Verfahren der beiden haben wir eine starke rechtliche Verteidigung organisiert und waren auch selbst vor Ort. In ihren Fällen kam es jeweils nicht zu einer Hauptverhandlung. Stattdessen wurde mit der Staatsanwaltschaft ein Deal ausgehandelt: Ariad und Chatiem bekannten sich „schuldig“, das Boot gesteuert zu haben, um Europa zu erreichen – im Gegenzug wurde ihre Strafe erheblich reduziert.

Das Gericht verurteilte sie schließlich zu 10 Jahren fylakisi (gewöhnliche Freiheitsstrafe) und ersparte ihnen damit die deutlich härtere kathirxi (Langzeitfreiheitsstrafe) von 25 Jahren, von denen mindestens 15 hätten abgesessen werden müssen. Bei fylakisi ist eine vorzeitige Entlassung nach zwei Fünfteln der Haftzeit – also etwa vier Jahren – möglich, in der Praxis oft auch früher, z. B. durch Anrechnung von Schulbesuchen, Arbeit oder „gutes Verhalten“ im Gefängnis. Realistisch ist jetzt also eine Entlassung nach etwa drei Jahren.

Angesichts des harten rechtlichen Rahmens in Griechenland muss dieses Urteil als juristischer „Erfolg“ gewertet werden – insbesondere in Ariads Fall, wo es angesichts der Anzahl von Passagier*innen höchst unwahrscheinlich war, dass die Staatsanwaltschaft einem Deal mit fylakisi-Strafe zustimmen würde.

Ohne die engagierte Verteidigung des Anwalts Spyridon Pantazis hätten Ariad und Chatiem mit großer Sicherheit deutlich längere kathirxi-Strafen erhalten – wie die, die bereits verurteilt wurden.

Aber das ist kein Grund zur Freude.

Wir dürfen uns nicht in rechtlichen Details verlieren oder uns mit relativen Erfolgen trösten. Die Realität bleibt brutal: Zwei junge Männer – Ariad und Chatiem – müssen nun Jahre im Gefängnis verbringen, unter harten Bedingungen, in einem fremden Land, voller Sorge um ihre Familien im Krieg im Sudan.

Das ist ein Grund für Empörung – nicht für Erleichterung.

Dass wir bei einem Urteil von drei – oder auch zehn – Jahren Erleichterung empfinden, sagt viel über die Grausamkeit eines Rechtssystems aus, in dem Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt werden, nur weil sie migrierten.

Der Gerichtssaal selbst machte das Ausmaß dieses Unrechts schmerzhaft sichtbar: Reihe um Reihe von Jungen und Männern of Color, mit Handschellen aneinandergekettet, wartend auf ihre eigenen Schmuggelprozesse. Das ist die „Normalität“: Menschen, die wegen „Schleusung“ inhaftiert sind, bilden inzwischen die zweitgrößte Gruppe in griechischen Gefängnissen – 90 % von ihnen sind Drittstaatsangehörige. Es ist ein Regime massenhafter Inhaftierung, das Migration unter dem Deckmantel der „Kriminalitätsbekämpfung“ kriminalisiert.

Dass diese zwei jungen Männer unter der Androhung jahrzehntelanger Haft zu einem Schuldbekenntnis gezwungen wurden, ist Teil des Unrechts. Das ist keine Gerechtigkeit – das ist Überleben in einem kaputten System.

Ein System, das dich zwingt, dich für etwas zu entschuldigen, das keiner Entschuldigung bedarf – eine Inszenierung von „Verbrechen“ und „Gerechtigkeit“, ein absurdes Theater, das alle – selbst dich – davon überzeugen soll, dass, auch wenn die Leute zwar mögilcherweise zustimmen, dass die die Gesetze doch etwas zu hart sein mögen, du dennoch irgendwie ein bisschen schuldig bist.

„Ja, ich habe das Boot für eine Weile gesteuert, aber ich wollte es wirklich nicht. Es tut mir leid.“

„Ja, diese Jungs verdienen wirklich keine lebenslange Haft.“

Aber es gibt nichts, wofür man sich entschuldigen müsste. Und die lebenslange Haft ist nicht der eigentliche Kern des Problems. Solche Aussagen zeigen, wie tief der rassistische Unrechtsmechanismus schon greift – nicht nur im Urteil, sondern in der Art und Weise, wie Schuld konstruiert und Menschen aufgezwungen wird.

Das Problem liegt in diesen Gesetzen. Sie sind falsch. Sie müssen abgeschafft werden.

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Die ganze Geschichte von Ariad könnt ihr hier lesen:

Diese Fälle wurden gemeinschaftlich von de:criminalize und Captain Support unterstützt.

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