„Ich habe meine Heimat nicht verlassen, weil ich es wollte, sondern weil ich musste.“

Die Geschichte von Ariad K.

Kreta, Griechenland. Am 30. April 2025 steht Ariad, ein 18-jähriger Geflüchteter aus dem Südsudan, vor Gericht. Er ist wegen Schlepperei angeklagt und ihm droht eine lebenslange Freiheitsstrafe – nur weil er während der Überfahrt über das Mittelmeer des Bootes half. Ariad ist einer von etwa 50 jungen sudanesischen Geflüchteten im Alter zwischen 17 und 21 Jahren, die derzeit im Jugendgefängnis von Avlona wegen Schleuserei in Untersuchungshaft sitzen und denen lebenslange Haftstrafen drohen.

Ariad K. stammt aus dem Südsudan. Wie Tausende andere wurde sein Leben durch den Bürgerkrieg, der 2013 ausbrach, für immer verändert. Während der Gewalt wurde er unter dem linken Arm angeschossen und musste inmitten des Chaos notoperiert werden. Er überlebte – doch sein Leben sollte nie wieder dasselbe sein.

2016 brach erneut Krieg im Südsudan aus. Während Menschen auf der Flucht um ihr Leben kämpften, geriet Ariad in einen Autounfall und brach sich denselben, bereits zuvor verletzten linken Arm. Ohne Aussicht auf eine medizinische Behandlung im kollabierenden Gesundheitssystem und in ständiger Lebensgefahr sah Ariad sich gezwungen, seine Heimat zu verlassen.

Auf der Suche nach medizinischer Hilfe floh er nach Ägypten. Doch ohne finanzielle Unterstützung konnte er sich die dringend benötigte Operation nicht leisten. Er registrierte sich beim UNHCR als Flüchtling und bat um medizinische Hilfe – vergeblich. Um zu überleben, nahm er jede Arbeit an, die er finden konnte: Hausarbeiten, auf Baustellen – alles, was auch nur ein wenig Geld brachte. Nach eineinhalb Jahren immenser Anstrengungen, immer noch unter Schmerzen und ohne Behandlung, fasste Ariad den schweren Entschluss, die gefährliche Reise nach Europa zu wagen.

Er reiste nach Libyen, wo er unter harten Bedingungen arbeitete, um Geld für die Überfahrt zu sparen. Schließlich bezahlte er 8.000 libysche Dinar an einen Schleuser, um das Mittelmeer zu überqueren. Doch statt einer schnellen Überfahrt wurde Ariad fast 30 Tage in einer provisorischen Unterkunft festgehalten – ohne ausreichende Nahrung, ohne sauberes Wasser und ohne Kontakt zu seiner Familie, da ihm sein Handy und damit seine letzte Verbindung nach Hause abgenommen wurde.

Eines Nachts zwangen ihn die Schleuser zusammen mit einer kleinen Gruppe – vier sudanesische Männer und andere Menschen verschiedener Nationalitäten – auf ein Boot und befahlen den vier Sudanesen, das Boot zu steuern. Ariad protestierte, zeigte seinen verletzten Arm und erklärte, dass er nicht steuern könne. Doch sie wurden geschlagen und bedroht. Schließlich gab einer der Männer nach und übernahm das Steuer.

Sie hatten bereits zwei Tage auf offener See verbracht, als die Person, die bis dahin gesteuert hatte, nicht mehr konnte vor Erschöpfung. Ariad trotz seiner Verletzung zu helfen – er konnte das Boot zwar nicht richtig steuern, aber er unterstützte, wo er konnte; verteilte Wasser, half beim Auftanken und versuchte, das Boot am Laufen zu halten. Sein einziges Ziel: Überleben – sein eigenes und das der anderen an Bord.

Schließlich wurden sie von einem griechischen Rettungsschiff entdeckt und nach Kreta gebracht. Doch die Erleichterung währte nur kurz. Am Morgen des 30.11.2024 verhaftete die griechische Polizei die vier sudanesischen Passagiere – darunter Ariad.

Alle vier wurden wegen „Beihilfe zur unerlaubten Einreise von 70 Drittstaatsangehörigen“ angeklagt mit den erschwerenden Umständen der angebliche Gefährdung der Passagier*innen und angeblichen Handeln aus Profitstreben.

Bei einer Verurteilung drohen Ariad mindestens zehn Jahre Haft und eine Geldstrafe von mindestens 30.000 Euro pro transportierter Person. Insgesamt könnte er zu mehreren hundert Jahren Haft und zu Geldstrafen von über zwei Millionen Euro verurteilt werden.

Nach griechischem Recht erfüllt jede*r, der*die ein Boot steuert oder eine andere Rolle an Bord übernimmt, die gesetzliche Definition des Verbrechens der „Schleuserei“. Die Strafe wird pro transportierter Person multipliziert. Daher kann allein das Steuern oder die Hilfe beim Steuern eines Bootes oder Fahrzeugs, das undokumentierte Migrierende transportiert, zu jahrzehntelangen Haftstrafen führen, unabhängig davon, ob die Person selbst Teil der geschleusten Geflüchteten war.

Für den Versuch, ihr eigenes Leben und das Leben anderer zu retten, drohen ihnen nun lebenslange Haftstrafen.

Am 6. März 2025 wurden bereits neun dieser jungen Männer im Gericht von Heraklion auf Kreta zu lebenslanger Haft und jeweils 4 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt – in Prozessen, die etwa zehn Minuten dauerten. Die jungen Erwachsenen erzählen uns, dass die Verzweiflung und die Angst unter ihnen im Gefängnis überwältigend seien.

Durch die Strafverfolgung von Menschen wie Ariad verstößt Griechenland eindeutig gegen internationales Recht. Laut dem UN-Protokoll gegen Schleuserei, dessen Unterzeichner Griechenland ist, sollen Staaten Migrierende nicht dafür kriminalisieren, dass sie sich selbst schleusen lassen. Dies gilt insbesondere für Menschen auf der Flucht, die auf Schleuser*innen angewiesen sind, um Zugang zu Schutz zu erhalten. Das UN-Protokoll legt fest, dass Anti-Schleuser-Maßnahmen die rechtlichen Verpflichtungen der Staaten, einschließlich derjenigen unter der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht zuwiderlaufen dürfen. Darüber hinaus ignoriert diese Kriminalisierungspraxis die Pflicht gemäß dem UN-Protokoll über den Menschenhandel, potenzielle Opfer von Menschenhandel zu schützen, was insbesondere in solchen Fällen, in denen Personen zum Steuern von Booten oder anderen Aufgaben gezwungen wurden, relevant ist.

In der Realität führt diese Kriminalisierungspraxis dazu, dass Migration als solches als schweres Verbrechen geahndet wird.

Ariad und die anderen sind einfach nur Teenager, die vor dem Krieg flüchteten, um eine bessere Zukunft zu finden. Jetzt sind sie von der Aussicht bedroht, mehr Jahre im Gefängnis zu verbringen, als sie bisher gelebt haben.

Diese Kriminalisierung muss ein Ende haben – ein für alle Mal. Hört auf, Menschen für das Steuern von Booten zu bestrafen!

Wir fordern:

  • das Fallenlassen der Anklage gegen Ariad im Einklang mit internationalem Recht
  • Freiheit für alle, die wegen „Bootsfahrens“ inhaftiert sind
  • ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht.

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