Plea-Deals in Griechenland: Schneller Schuldspruch statt fairer Prozess

Immer häufiger enden Verfahren zu „Schleppere“-Vorwürfen mit sogenannten „Plea Deals“. Die Angeklagten unterzeichnen ein Schuldgeständnis, die Staatsanwaltschaft reduziert im Gegenzug das Strafausmaß. Dieser vermeintliche Kompromiss hat einen kaum beachteten Haken: Wer den Deal unterschreibt, gibt jede Chance auf einen Freispruch, ein Berufungsverfahren oder Asyl geschweige denn der Staatsbürgerschaft auf. Diese lebensentscheidenden Deals werden dabei aber spontan vor Gericht ohne qualifizierte Übersetzer*innen getroffen. Meist wissen die Angeklagten also nicht, was genau sie unterschreiben und welche Konsequenzen es für sie haben wird – eine massive Einschränkung ihrer Rechte.

Der Kontext von unrechtmäßiger Verfolgung von Migration

Seit die EU 2015 den Kampf gegen sogenannte „Schlepperei“ zur Priorität erklärt hat, wird in Griechenland bei fast jeder Ankunft eines Boots bzw. Autos mit Migrant*innen mindestens eine mitreisende Person verhaftet und als „Schlepper“ angeklagt. Während diese Maßnahmen offiziell als Schutzmaßnahme gegenüber Migrierenden dargestellt werden, treffen sie genau jene, die sie erklären zu beschützen. Verhaftungen geschehen dabei auf der Grundlage weit gefasster Gesetze sowie oft ohne Beweise, Rechtsbeistand oder Übersetzung und nahezu alle Angeklagten kommen vor ihrem Prozess monatelang in Untersuchungshaft – eine Maßnahme, die ansonsten nur in als sehr gefährlich eingestuften Fällen ergriffen wird. Rechtsverletzungen ziehen sich jedoch bis in die Prozesse hinein, unter anderem wird das an der Praxis der Plea Deals deutlich.

Ein schneller Ausweg – für wen?

Ein Plea-Deal bedeutet: Der oder die Angeklagte gesteht die Vorwürfe genau so, wie sie in der Ermittlungsakte stehen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Staatsanwaltschaft, eine mildere Strafe zu beantragen. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen, anschließend wird die Vereinbarung in einer öffentlichen Anhörung vom Gericht abgenickt. Für die Jurist*innen der schnellste Weg, so beschreibt es ein griechischer Anwalt: „Es ist einfach, sauber, ohne weitere Scherereien – nach der ersten Verhandlung ist alles erledigt“. Schließlich wurden Plea Deals auch in erster Linie in das Rechtssystem Griechenlands aufgenommen, um überlastete Gerichte von weniger relevanten Prozessen zu entlasten. Aber auch für Angeklagte klingen das nicht selten erst einmal nach einer guten Idee: Ohne Deal drohen oft Gefängnisstrafen von bis zu hunderten von Jahren, von denen sie mindestens fünfundzwanzig Jahre tatsächlich absitzen müssen. Besonders wenn das Gericht „Gefahr für Leib und Leben“ erkennt, sind Richter*innen selten bereit, milde Urteile zu fällen. Nachdem Angeklagte bereits Monate bis Jahre in Untersuchungshaft verbringen, scheint es dann strategisch manchmal sinnvoll, sich durch eine Schuldbekenntnis einige Jahre weniger zu erkaufen – trotz der Konsequenzen.

Scheinverteidigung: Wenn Schuldgeständnisse unter Druck entstehen

Was aber, wenn Angeklagte überhaupt nicht genug Wissen über die ihnen vorliegenden Optionen haben? Immer wieder konnten wir in den Gerichtssälen dokumentieren, wie Angeklagte von ihren staatlich zugewiesenen Pflichtverteidiger*innen dazu gedrängt wurden, Plea-Deals zu unterschreiben – ohne dass ihnen die Konsequenzen ausreichend erklärt wurden, oft ohne qualifizierte Übersetzung und ohne jede Bedenkzeit. Wir erleben es immer wieder, dass sich Betroffene an uns wenden, nachdem sie unwissend eine Schuldbekenntnis unterzeichnet haben und sich nun nicht mehr dagegen wehren können. Wie es dazu kommen kann, wird durch den Kontext erklärlich: Viele Pflichtverteidiger*innen sprechen ihre Mandant*innen erst unmittelbar vor der Verhandlung oder sogar erst im Gerichtssaal das erste Mal. Von einer gründlichen Kenntnis der Akten oder der individuellen Lebenssituation kann in solchen Fällen keine Rede sein. Zusätzlich wird sich oft auf unausgebildete und häufig selbst inhaftierte Personen als Übersetzer*innen verlassen. Damit werden gleich mehrere Grundsätze eines fairen Verfahrens und einer effektiven Verteidigung ausgehöhlt. Schuldgeständnisse, die in solchen Kontexten erzwungen werden oder unter erheblichem Druck zustande kommen, dürften nicht als gleichwertig zu frei abgegebene Geständnisse gewertet werden.

Verpasste Chancen auf Freispruch, Berufung und darüber hinaus

In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Freisprüche in Verfahren zu „Schlepperei“-Vorwürfen, in denen Gerichte auf internationales Recht verwiesen: Asylsuchende dürfen nicht für ihre Migration kriminalisiert werden. Diese Urteile machten deutlich, dass in bestimmten Konstellationen – etwa bei Menschen aus Ländern mit hohen Asylannahmequoten – die Chancen auf eine direkte Freilassung nicht nur theoretisch bestehen, sondern real sind. Wer jedoch einem Plea-Deal zustimmt, schließt diese Möglichkeit kategorisch aus. Denn das Geständnis im Rahmen des Deals ist ein unumkehrbarer Schritt: Es gibt keine Beweisaufnahme, keine Zeugen, keine inhaltliche Prüfung. Auch gibt es nicht die Möglichkeit, wie bei einem normalen Urteil in Berufung zu gehen. Stattdessen bleibt nur das Etikett „Schuldiger“, das auch künftige Verfahren prägt. So verliert ein wer den Deal unterschreibt, fast jede Chance auf Asyl, Staatsbürger*innenschaft oder den Zugang zu bestimmten Berufen.

Regionale Unterschiede der Plea Deal Praxis

Wie großzügig Staatsanwälte mit Plea-Deals umgehen, hängt stark vom Ort ab. An folgenden Gerichten ist diese Praxis unseres Wissens etabliert:

  • Chania (Kreta): Hier wird seit kurzem fast jeder Fall über einen Deal gelöst. Staatsanwälte schlagen ihn oft selbst vor.
  • Komotini (Nordgriechenland): Eine Hochburg der Plea-Bargains. Aus 25 im Zeitraum 2020-2023 von uns dokumentierten Plea-Deals fanden 24 allein in dieser Stadt statt.

Gerade auf Kreta ist die Häufung auffällig. Beobachter*innen berichten: „Wir sehen hier aktuell unglaublich viele dieser Deals – fast jeder Fall wird damit abgeschlossen.“ Ablehnungen gibt es nur vereinzelt, etwa wenn die Situation von Passagier*innen auf Fluchtbooten besonders schlecht war. So lehnte ein Gericht einen Deal ab, nachdem Zeug*innen von fehlendem Wasser und Essen berichtet hatten. Das Verfahren endete mit einer harten Strafe.

Wie Plea-Deals das Narrativ von „Schleppern“ stärken

Aus Sicht vieler Verteidiger*innen erscheint der Plea-Deal in manchen Fällen als pragmatische Wahl: schnelle Verfahren, kalkulierbare Strafen, weniger Risiko. Doch politisch hat diese Praxis eine gefährliche Dimension. Jeder Deal bestätigt die staatliche Erzählung vom „Schlepper“, der für Migration verantwortlich gemacht wird, und stützt die Statistiken vermeintlich rechtmäßiger Verhaftungen. Mit jedem Geständnis wächst so die Glaubwürdigkeit einer Erzählung, die eigentlich hinterfragt werden müsste. Ohne legale Fluchtrouten wird es immer Menschen geben, die Boote nehmen, steuern oder andere Aufgaben übernehmen, um sich und andere in Sicherheit zu bringen.